Indian News 75, 2004
Ich wollte einfach nur fahren...
Hans Mack erinnert sich an seine Zeit als Steilwandfahrer
Hans Mack erinnert sich an seine Zeit als Steilwandfahrer
Er hat es wirklich im Blut, dieses Schau-Geschäft. Schau, nicht Show. Die Kunst der motorsportlichen Artistik, der sportlichen Waghalsigkeit unter unversichertem Einsatz des eigenen Lebens, Vorstellung für Vorstellung. Schon seine Großeltern waren eng mit den Fahrgeschäften verbunden. Der Großvater väterlicherseits baute fabrikmäßig Karussels in Berlin- Lichterfelde, während der Großvater mütterlicherseits mit Schaubuden auf Reise war, in denen »die Dame ohne Unterleib« nur eine der Attraktionen des Rummelplatzes oder der Kirmes war. Der Vater betrieb Fahrgeschäfte mit Losbuden und Karussels und der Onkel Hermann (Bruder des Vaters) betrieb eine »Todeswand« in der sich Autos und Motorräder spannende Rennen lieferten. Es blieb nicht aus, das war die Erfüllung, Hans war für die Steilwand geschaffen! Er wollte einfach nur fahren, im Kessel, an der Steilwand und dem staunenden Publikum die Nackenhaare zu Berge stehen lassen. Es waren die Zeiten, in denen das Publikum noch staunen und sich einlassen konnte auf die angebotetenen Attraktionen – die Tatsächlichen und die Scheinbaren. Das anfeuernde Rekomandieren auf der Parade und im Kessel, das Spüren des Vibrierens und das Ächzen der Bretterkonstruktion des Kessels bei jeder Runde, der infernalische Krach aus den kurzgesägten Rohren der Scouts, der Geruch nach verbranntem Motoröl, Schweiß, Gummiabrieb und Bratwurstdämpfen – ein umfassendes, befriedigendes Sinneserlebnis. Zufälle sind es häufig, die unser Leben bestimmen und so kehrt Hans für 35 Jahre den Motorrädern den Rücken zu, arbeitet zuerst wechselhaft als Autoverkäufer, Busfahrer im Reisedienst und später auf Doppeldeckern über viele Jahre bei den Berliner Verkehrsbetrieben. Er kann es bis zum heutigen Tage nicht lassen, die Scout ist fertig restauriert und nun wird der HANOMAG-Mannschaftswagen umgebaut, um ihm die Schlafkoje und die Scout zu den Indiantreffen in Europa zu bringen. Viele Anekdoten fallen Hans ein, wenn er ins Erinnern kommt und so hat er uns eine erste Geschichte aufgeschrieben.
Bernd Lenzner, Berlin
Es war wohl 1936 als mein Onkel Hermann zum ersten mal mit der »Steilwand« in Berlin gastierte. Meine vier Vettern waren in Deutschland die verwegensten Todesfahrer. Jahre später sagten sie mir, sie waren immer froh, wenn ich wieder weg war. Es war für mich ca. sieben-Jährigen ein Vergnügen, außen an den Rippen der Wand zu klettern. Auch auf den Steilwandmaschinen durfte ich sitzen, aber es musste immer einer aufpassen auf mich. Das waren die ersten Kontakte mit der Indian Scout. Dann kam der Krieg. Ich kam in die Autoschlosserlehre und wurde in den letzten Kriegsmonaten auch noch zum Militär eingezogen. Nach dem Kriege beendete ich meine Lehre in einem »Großbetrieb« – nur der Meister und ich! Es war der schönste Teil der Lehre, denn der Alte war prima und hat mir alles genauestens erklärt. Der Clou, wir hatten eine 750 cc Scout mit Seitenwagen als Firmenfahrzeug! Wenn der Alte besoffen war, habe ich ihn mit dem Gespann nach Hause gefahren. Das waren die ersten Fahrten mit einer Indian aber es sollten noch viele folgen.
1948 begann meine Karriere als Steilwandfahrer in der Britischen Zone in Westdeutschland. Es im Detail zu beschreiben würde ein Buch füllen, also hier nur in der Übersicht. Wir waren die Ersten, die mit vier Maschinen zugleich im Kessel ein Überholungsrennen fuhren! 1954 reiste ich mit mit der Tochter und dem Sohn meines Vetters Georg Mack. Mein Neffe Rainer stürzte ab und verstarb nach drei Tagen an den Folgen. Seine Schwester Brigitte durfte daraufhin nicht mehr in der Steilwand fahren. So stand ich alleine da. Ich wollte die Wand kaufen, aber die Kaufverhandlungen scheiterten am Veto der angeheirateten Cousine. Mein jugendlicher Stolz ließ es nicht zu, für ein fremdes Unternehmen in der Steilwand zu fahren. So habe ich 35 Jahre kein Motorrad mehr angefasst. 1989 fiel die Mauer und wir konnten wieder in das Umland von Berlin fahren. Gleich hinter der Glienicker Brücke in Potsdam kam ich an der Tankstelle von Christian Timmermann vorbei. Im Laden stand auch eine 101 Scout und so war es um mich geschehen. Ich musste mir meine Scout kaufen! Ein Jahr bastelte ich und beim 6. Clubtreffen des IMC in Potsdam 1993 war ich dabei! Das Fahren lag mir noch immer im Blut, ich hatte nichts verlernt und möchte noch an vielen Treffen teilnehmen!
Hugh, ich habe gesprochen!
Hans Mack, Berlin
Die Bilder:
Heinz auf der Parade, dem »Hometrainer«, ca. 1950
Hans freihändig in der Wand, 1949
Brigitte und Hans freihändig in der Wand, 1951
Herman (Hermi), Hans und Karl-Heinz in der Wand, Frühjahr 1949